Es vermehren sich derzeit die Forderungen nach einer effektiveren Verfolgung von ‚Hate Speech’. Hierfür solle der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen schaffen, um Menschen, bei denen die soziale Kontrolle offensichtlich versagt, mit Gerichtsurteilen und Prüfdiensten von Plattformanbietern wie Facebook und Twitter in die gewünschten Schranken zu weisen. Sei es Fleischhauer, der über arabische Flüchtlinge und deren antisemitische Sozialisation schreibt oder Frau Dingens, die auf die Penetranz von cis-Tonart-Männern gegenüber anderen Menschen hinweist und konkrete Gegenmaßnahmen fordert. Ich empfinde beide Texte als sehr gut geschrieben, in ihrer Logik hervorragend nachvollziehbar und sehr präzise in ihrer politischen Haltung. Für mich regen sie eine Diskussion an, inwiefern wir unsere Meinungsfreiheit und unsere öffentlichen Räume neu fassen und verregeln müssen, um diese für alle Menschen möglich und nutzbar zu machen.
Hierbei geht es um eine ganz zentrale Frage unseres Zusammenseins: Garantieren wir jedem einzelnen Menschen ein Recht auf Teilhabe am Öffentlichen Leben und wie weit wollen wir diese Garantie fassen? Wie weit darf sich der Staat in die privaten und oft kommunikativ reproduzierten Beziehungen von Menschen einmischen?
Natürlich ist Gesetzgebung zu jeder Zeit auch Normsetzung und wir als (zumindest theoretischer) Souverän geben vor, welche Regeln in diesem Rechtsstaat durchgesetzt werden. Doch im Besonderen die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, dass unsere Rolle und unseren Satus als Souverän auch zwischen den Wahlterminen aufrecht erhält. Eingriffe in die Meinungsfreiheit sind in der Bundesrepublik Deutschland bisher immer nur Ausnahmen und nicht die Regel und müssen sehr gut begründet sein. Unser derzeitiges Verständnis von Meinungsfreiheit wurde hierbei maßgeblich von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts geprägt, das im Zweifel immer für dieses Rechtsgut und die Pressefreiheit entscheiden hat und dies hoffentlich auch weiterhin tun wird.
Beim Thema Meinungsfreiheit sind wir derzeit also sehr liberal aufgestellt und kennen nur wenige Ausnahmen, in denen ein staatlicher Eingriff erlaubt oder ein Rechtsweg erfolgsversprechend ist. Ausnahmen gelten zum Beispiel für ‚Falsche Tatsachenbehauptungen’ und ‚Verleumdungen‘, für ‚Volksverhetzung’ und auch bei dem sensiblen Thema Jugendschutz darf der Staat unserem Medientreiben etwas engere Grenzen setzen.
Wollen wir diesen bisher sehr kleinen Katalog nun tatsächlich um weitere Ausnahmen erweitern? Überschreitet die Praxis der Meinungsfreiheit die Grenzen anderer Grundrechte und Freiheiten inzwischen so sehr, dass der Gesetzgeber hier korrigierend tätig werden muss? Ich habe für mich noch keine Antwort auf diese Fragen, sehe aber wie einige Kommentatoren eine solche Forderung immer weiter forcieren.
Für mich stellt sich hier zudem die Frage nach unserer grundsätzlichen Vorstellung von Öffentlichkeit.
Ist die Öffentlichkeit ein Ort, an dem man grundsätzlich etwas, nämlich sich selbst riskiert, wenn man sich dorthin begibt und sich expressiv und sichtbar äußert? Bleibt die Öffentlichkeit ein Ort rhetorischer Auseinandersetzungen und damit auch möglicher Niederlagen im Streit und möglicher Demütigungen? Bleibt die Öffentlichkeit etwas Disharmonisches und Wildes, in dem man sich weiterhin unter anderen beweisen muss oder sollte sie in Zukunft eine Art ‚Safe Space’ werden, in dem die individuellen Ängste und die Verletzbarkeit des Einzelnen zum Standard für den medialen oder alltäglichen Raum erhoben werden? Wollen wir wirklich ein neues regelndes Regime für unseren öffentlichen Raum, das letzteres mit Verurteilungen garantiert und uns endlich Machtworte mit Konsequenzen verspricht?
Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich diesen Eingriff in zum Teil auch sehr private Beziehungen will und ob ich bereit bin, vom Einzelnen – sei es der/die Traumatisierte oder die/der Mackernde – auf das Ganze zu schließen.
Diese erste und sehr vorläufige zweifelnde Ansicht meinerseits bedeutet nicht, dass wir das Thema und mögliche Entwicklungen nicht grundsätzlich diskutieren müssen. Ich bin mir da selbst noch nicht sicher.
Neben den legalistischen Maßnahmen der Gesetzgebung und der Strafverfolgung existiert übrigens auch noch das Normative an sich, das Wünschenswerte, für das man erst noch kämpfen muss, den ewigen Soll-Zustand, der vom Ist-Zustand abweicht und den auch kein Gesetz einfach so installieren kann. Ich habe bei manchen Menschen leider das Gefühl, sie würden diesen mühseligen Kampf einfach gerne an die Polizei deligieren, sie würden gerne nach dem Staat rufen, um sich selbst aus dieser Auseinandersetzung mit Menschen in der Öffentlichkeit zurückziehen. Ein Klick auf den Beschwerde-Button, um der unperfekten Welt da draußen endlich nicht mehr verpflichtet zu sein. In dieser Hinsicht muss ich euch bereits vorab enttäuschen, denn egal wie sich dieses Thema auch weiter entwickelt: Dieser Einsatz wird euch leider nicht erspart bleiben, denn das bleibt weiterhin der Charakter von ‚Gesellschaft‘ und ‚Öffentlichkeit‘. So sehr man an anderen Menschen in dieser Öffentlichkeit gelegentlich verzweifeln mag: Man wird sich mit ihnen weiterhin auseinandersetzen müssen. Es tut mir leid.