…fragil. Ich würde sie gerne als anthropologische Konstante definieren, befürchte aber, sie ist eher eine bedrohte Art und ein bedrohtes Miteinander. Sie benötigt Förderung, um zu überleben und sie braucht Freiräume, um stattzufinden. Beide Aspekte waren in Hamburg immer schon politisch.
Raum und Unterstützung werden natürlich im besten Fall gewährt und finden sich für Initiativen ganz unabhängig von Stadtplanung und Steuergeldern. Besonders in Großstädten spürt man jedoch den immensen Druck der Immobilienbranche auf den Aspekt Raum. Dieser ist für eine urbane, großstädtische Kultur deshalb immer etwas, das man dem Markt abtrotzen muss, nicht etwas Gegönntes und zur freien Gestaltung immer Vorhandenes. Kultur tritt hier oft als Konkurrenz zur Stadtplanung der Bauherren auf, als Gefahr für ein Investment, als Ort fremder Ideologie, als unerwünschtes Milieu, das wohlmöglich Menschen gegen die bestehenden Verhältnisse oder den architektonischen Wandel organisiert. In Hamburg hat Kultur – abseits der hochkulturellen Institutionen – immer etwas Kämpferisches und Widerständiges. Selbst soziale Zentren, die ein lokales und kreatives Miteinander fördern wollen, werden regelmäßig zum Schauplatz erbitterter Auseinandersetzungen – siehe Gängeviertel, Frappant, Münzviertel, etc.
Und auch die ‚Unterstützung‘ für kulturelle Einrichtungen lässt sich oft erst im Gewand des Protests organisieren und etablieren. So sind es häufig die Soli-Partys, die Demonstrationen und dringenden Rettungsappelle, die für Aufmerksamkeit und auch für die nötigen Mittel bei Projekten sorgen, inzwischen auch Genossenschaften und eigene Clubs, selten jedoch das Bundesland, das in unserem föderalen System für Kulturpolitik zuständig ist.
Man muss hierbei anerkennen, dass das Buzzword „Kreativwirtschaft“ und die Annahme von „Kultur als Standortvorteil“ die Politik und das Stadtmarketing in den letzten Jahren beeinflusst haben und dass die städtische „Kreativgesellschaft Hamburg“ nun mehr Projekte befähigen möchte – beispielsweise durch Flächen und Gebäude am Oberhafen, eine eigene Kickstarter-Instanz und die Beratung von Initiativen. Doch trotz dieser bemerkenswerten Anlaufstelle fördert der Senat weiter hauptsächlich Großevent und die sozialen und kulturellen Einrichtungen in den Stadtteilen und unterbemittelten Bezirken müssen immer wieder mit dem Aus rechnen, sollten sie nicht straßenfüllend Protest organisieren.
Diese eventzentrierte Kulturpolitik fördert Massenereignisse wie Hafengeburtstage, Cruise Days, Harley Days, Brauereitage, Schlagermoves, Marathons, Triathlons, Cyclassics, Kirchentage, Bundesgartenschauen, Lions Club Meetings, Internationale Bauausstellungen, Alstervergnügen, Messe-Events, Kreuzfahrtschiff-Einfahrten und verkaufsoffene Sonntage*. Denn im Sinne des Stadtmarketings hat Kultur auf Tourismus, Menschenströme und Umsatz abzuzielen. Wahrscheinlich zählt man in den Reiseprospekten selbst Musical-Theater zur Kultur dieser Stadt, wie das Wunder von Bern (sic!), Hollywoods Rocky VII oder den König der Löwen in der Steppe südlich der Elbe. Es sollen zunächst die Gäste unterhalten, nicht die Bewohner dieser Stadt und ihre kulturelle Heimat gefördert werden.
Kulturpolitik hat in Hamburg also einen deutlichen Großevent-Einschlag. Und um den Aufhänger dieses Textes „Kultur ist für mich…“ mal zu paraphrasieren: Was will die Politik eigentlich als Stadtkultur für mich? Und kann die Politik eine „Kultur“ überhaupt noch kleinteilig denken, steuern und fördern? Oder muss sie diese neoliberal als „Markt“ betrachten, für den sie lediglich Rahmenbedingungen schaffen kann oder gar als eine Art Investition, für die sie einen kurzfristigen ‚Return on Investment‘ verlangen muss?
Wie oben ausgeführt dreht sich in Großstädten alles um den Aspekt ‚Freiraum‘, denn dieser ist teuer und oft von Behörden und deren Genehmigungen abhängig. Der Freiraum ist für mich die Stellschraube, an der man politisch weiter drehen muss. Zwischennutzungen bei leerstehenden Gebäuden und Flächen sollten weiter gefördert und unkompliziert genehmigt werden. Neue Bebauungspläne sollten Freiräume, Ateliers und Werkstätten vorsehen und das kulturelle Miteinander und Ensemble eines Viertels stärker bedenken. Die Privatisierung des öffentlichen und städtischen Raums, wie z.B. durch BIDs (Business Improvement Districts) und durch den Verkauf von Refugien wie Kleingartenanlagen sollte zurückgedreht werden. Lokale Genossenschaftslösungen sollten beim Verkauf von Gebäuden den Immobilienentwicklern immer vorgezogen werden. In Hamburg bin ich mir bei diesen Forderungen relativ sicher, sie müssen gegen Widerstände hart erkämpft werden: Das ist die politische Kultur dieser Stadt.
Der Senat beschäftigt sich derzeit lieber mit Weltpolitik und großen Gesten. Die Bewerbung für das Großereignis Olympia 2024 folgt der oben skizzierten, eventzentrierten Logik und würde dabei alles Gewesene in Sachen Hybris und Generationenverschuldung in den Schatten stellen. Die geplanten Flächen und Sportanlagen müssten später durch weitere Großevents genutzt werden, um sich in der Folge zu rentieren. Hier kann man hervorragend beobachten, wie sich eine bestimmte Kulturdefinition in die Architektur einer Stadt einschreibt. Auch die Elbphilharmonie kostet uns weiterhin Geld, das dem sozialen und kulturellen Bereich fehlt, da man ‚Stadtkultur‘ als Skyline für neue Prospekte missverstand. Für mich zumindest ist Kultur etwas anderes.
Und da diese meine andere Kultur wohl immer fragil und fraglich bleiben wird, muss ich dieser Stadt und ihren Bewohnern ein großes Kompliment machen, wie sie sich trotz der großen Umwälzungen eine eigene Kultur bewahren, die man in den verschiedenen Stadtteilen noch aufspüren kann. Das fehlt der Hafencity, das wird der neuen Mitte Altona fehlen und allen anderen Neubau-Arealen in Hamburg – auch wenn man sich insgeheim wünscht, dass all das Alte trotz der planierten und neu betonierten Stadt wie in einem Jaques Tati Film (Playtime, 1967) wieder hervorbricht und sich seine Räume zurück erkämpft.
Die Nostalgie bleibt wohl ein zentrales Gefühl der Moderne und des Wandels. Vielleicht schafft erst sie unser kulturelles Bewusstsein, vielleicht braucht es für die Kultur auch immer wieder den drohenden Verlust. Die Stadt Hamburg lässt dies zumindest vermuten.
*die positiven Beispiele habe ich hier aus Gründen der Zuspitzung ausgelassen, aber auch sie folgen der eventzentrierten Logik.
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Dieser Beitrag ist Teil einer Blogparade zu Kulturdefinitionen #KultDef. Dort findet ihr weitere Beiträge und wenn ihr möchtet auch euren, falls ihr euch noch bis zum 30.06. äußert. Vielen Dank für die Idee an Tanja Praske.
Hi,
ein wunderbarer Beitrag zur Blogparade #KultDef – vielen herzlichen Dank dafür!
In München werden ganz ähnliche Diskussionen geführt. Auch hier gibt es eine Kreativwirtschaft, auch hier werden Mega-Events zelebriert. Die Diskussion um Kultur und ihren Platz in der Münchner Gesellschaft ist virulent. Gerade in letzter Zeit mit #urbanspaces geschah dazu einiges, was ich allerdings nur aus der Ferne wahrnahm. Hierzu könnten bestimmt die beiden von Let’s talk about arts einiges sagen, da sie einiges dazu geschrieben haben, wie beispielsweise hier: http://www.letstalkaboutarts.com/urban-places-public-spaces-was-ist-die-gute-stadt/
Vielleicht melden sie sich bei dir. Ich reiche deinen Link weiter.
Hamburg ist für mich im Netz über Kulturblogger bekannt, wie @wwecker, @musermeku, @museumsheld. Die Aktivitäten des Archäologischen Museums kenne ich auch ein bisschen. Gerade letztere waren in eculture-Projekten eingebunden. Bald wird es auch das erste stARTcamp Hamburg geben, ein Barcamp der Kultur. Das könnte für dich interessant sein. Gerade Wera, Alice Scherer und Michael Merkel können dir dazu mehr Auskunft geben.
Wäre schön, wenn sich für dich spannende Kontakte auch über den Post ergeben.
Auf jeden Fall, ein dickes Merci!
Sonnige Grüße aus dem Süden
Tanja Praske
Vielen Dank für den ausführlichen Kommentar und die Verweise! Vernetzung kann nie schaden und ich supporte immer gerne wo ich kann. Vernetzung und Bildung sind nunmal die wenigen Vorteile, die wir anderen Epochen voraus haben. Dieser ‚Recht auf Stadtraum‘-Diskurs ist aber leider schon so so alt, dass er bereits etwas staubig schmeckt und dabei doch so aktuell. Ich frage mich manchmal, ob wir etwas gelernt haben. In Hamburg erlebt man zum Glück immer wieder Positives im städtischen Raum. Ob wir uns von diesem – à la Internet – irgendwann völlig lösen können, wage ich zu bezweifeln. Der städtische Raum bleibt imho für Kultur weiterhin sehr wichtig.
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