Ich halte einen Spion in meinen Händen

Die letzten Tage überschlugen sich einige Medien mit Geheiminformationen aus Regierungskreisen. Nein, das war unpräzise formuliert: ALLE Medien berichteten über einen echten Spion in Deutschland. Eine Person in Diensten des Bundesnachrichtendienstes soll für ausländische Geheimdienste – dies habe er so zugegeben – den NSA-Untersuchungsausschuss ausspioniert haben. Erst musste ich schmunzeln, dann lachen, dann etwas weinen, dann grübeln und habe es schließlich mit Fassung getragen, so wie dieser komische Norbert Fromm Lammert von der CDU. Für meine widersprüchlichen Gefühle gibt es einige Anlässe.

Fangen wir mit der Armseligkeit unserer Medien an. Seit über einem Jahr sprechen wir (nicht nur wir Piraten) von Massenüberwachung und Spionage, die jeden einzelnen Menschen in diesem Land betrifft und unser Staatswesen sowie alle deutschen Unternehmen sowieso. Das Thema war ungreifbar diffus und der Nachrichtenwert sank mit jeder weiteren, inflationären Enthüllung über das Ausmaß und die Methoden der Ausspähung und Infiltration. Ohne das Narrativ des Superhelden Snowden hätten sich diese Meldungen niemals über eine so lange Zeit in den Nachrichten gehalten. Normalerweise spricht man von einem maximalen Nachrichtenzyklus von drei Wochen. Und jetzt hat der Journalismus wieder ein Wesen aus Fleisch und Blut gefunden, das er greifen kann, dessen Verhaftung gar möglich ist, der doppelspioniert, als sei es Nineteenninetytwo. Dass diese Geheiminformation aus Regierungskreisen einzelne Journalisten erreichte (Nein, nicht nur an ein Medium wurde sie gestreut: An „Süddeutsche Zeitung“, an den NDR und auch an den WDR: zur Sicherheit), hat den Redakteuren wohl regelrechte Exklusivitätsschauer den Rücken hinunterlaufen lassen. Spionage in Deutschland und die Bundesregierung tut etwas dagegen? Das ist natürlich eine besondere Meldung, muss auch ich als Pirat zugegeben. Trotzdem ist diese Meldung selbstverständlich ausgeklügelte Regierungs-PR, wie ein kritisch denkender Mensch bereits im ersten Moment hätte feststellen können. Zudem gab es auch nur eine Quelle: die Bundesregierung. Sowas sollte man schnell ins Internet drucken und sich weiterhin unabhängig nennen. Versteht ihr jetzt, warum ich den Begriff ‚armselig‘ benutzt habe? Wir erleben ein großes Ablenkungsmanöver und viele spielen mit.

Kommen wir zu einem weiteren lächerlichen Punkt: Ein Untersuchungsausschuss soll Geheimdienstaktivitäten, von denen jeder in Deutschland und weltweit weiß, überprüfen und tut dies geheim, damit deutsche und ausländische Geheimdienstaktivitäten weiterhin geheim bleiben. Und ein ausländischer Spion schleicht sich ein, um herauszufinden, wie viel der Untersuchungsausschuss von den ausländischen Geheimdienstaktivitäten festgestellt hat, von denen jeder in Deutschland und weltweit weiß. Diese Information ist wiederum offiziell als geheim eingestuft, damit keiner außerhalb des BNDs und der Bundesregierung erfährt, dass der BND infiltriert und ausspioniert wird, wie jeder in Deutschland und weltweit.

Um die Absurdität dieses Sachverhalts zu unterstreichen, wiederhole ich diesen Absatz noch mal:

Ein Untersuchungsausschuss soll Geheimdienstaktivitäten, von denen jeder in Deutschland und weltweit weiß, überprüfen und tut dies geheim, damit deutsche und ausländische Geheimdienstaktivitäten weiterhin geheim bleiben. Und ein ausländischer Spion schleicht sich ein, um herauszufinden, wie viel der Untersuchungsausschuss von den ausländischen Geheimdienstaktivitäten festgestellt hat, von denen jeder in Deutschland und weltweit weiß. Diese Information ist wiederum offiziell als geheim eingestuft, damit keiner außerhalb des BNDs und der Bundesregierung erfährt, dass der BND infiltriert und ausspioniert wird, wie jeder in Deutschland und weltweit.

Wo ist eigentlich Kafka, wenn man ihn braucht?! Ich will ihn als Prozessbeobachter.

Und nun zu einem letzten lächerlichen, für mich aber zentralen Punkt: Ich halte just in diesem Moment einen Spion in meinen Händen, lieber BND. Früher nannte man diese Dinger Telefon. Diese Information muss nun nicht mehr über Regierungskreise geleakt und über Journalisten als Durchlauferhitzer an die Öffentlichkeit gelangen: You’re welcome. Und nein, ich muss auch kein Spion sein, um dies zu wissen. Die Piraten haben oft genug darüber berichtet und sie tun dies auch weiterhin regierungsfern, liebe Journalisten: You’re welcome.

Also lasst den Spion bitte laufen: Er macht längst keinen Unterscheid mehr. Auch er wird euch in diesem Moment in seiner Zelle auslachen und ich lache mit ihm. Ringt nicht um Fassung: Tut etwas!

 

Ich trete zurück, einen Schritt

Nicht aufgrund des aBPTs am Wochenende, nicht aufgrund von Ereignissen in Hamburg. Es gibt Standpunkte zu revidieren, eigene Handlungen einzuordnen, Einschätzungen neu zu justieren.

Ich wollte Hamburg immer öffnen, den Austausch mit anderen Verbänden, der Bundespresse, dem Bundesvorstand erhöhen, dort verlässliche und ausdrücklich vertrauensvolle Kommunikation aufbauen. Ich habe mir davon immer einen Mehrwert versprochen, weil ich weiß, dass Menschen Dinge aus Gründen tun, die man lieber schnell versteht. Zudem hätte man bei mir immer Einblicke und Ratschläge bekommen, wie die Aktiven in Hamburg gerade ticken.

Und nun muss ich feststellen, dass wir für diese elementare Aufgabe zu wenige Leute haben – geschweige denn die Einsicht, wie wichtig Meinungsaustausch für die Qualität dieser Partei ist. Trotz meines eigenen Bestrebens, für alle immer ansprechbar zu sein, kann ich den Reflex anderer verstehen, dass die Untergliederungen des Bundes einfach nur ihre Ruhe haben wollen. Ihre Arbeit ist lokal, vor Ort machen sie ihre Politik und mit Themen auf Bundesebene verbinden sie in letzter Zeit vor allem Gates und unkontrollierbare Eskalationen.

Die Idee der Arbeitsteilung hat auch in Hamburg bereits zu dem Vorwurf Richtung Bundesvorstand geführt, dass dort Dinge nicht erledigt werden, um die wir uns in Hamburg einfach nicht kümmern wollen. Ich glaube nicht daran, dass sich diese Haltung ändern wird. Ich bin mir inzwischen nicht mehr sicher, ob es klug – und noch wichtiger: mit Effekt – wäre, wenn Hamburg die Zeit seiner Aktiven in die Bundesvernetzung investiert. Wir haben eine Volksinitiative gegen Gefahrengebiete mit Deadline vor der Brust, wir müssen Aufstellungsversammlungen und Wahlkampf für die Bürgerschaftswahl Februar 2015 organisieren und vor Ort dafür extrem mobilisieren.

Zu dem nachvollziehbaren professionellen Wunsch, dass wir den Austausch zwischen den Gliederungen institutionalisieren gehört eine zweite Analyse. Ich behaupte jetzt mal selbstbewusst, dass sich ein Gespräch mit mir für mich und andere immer lohnt. Ich bin nun zwei Jahre in dieser Partei, habe Bezirksdinge gemacht, habe versucht Neulinge einzubinden, Awareness für die Hürden und den gelegentlich unmenschlichen Gegenwind für schwächere Mitglieder aufzubauen, zu intervenieren, habe den Bundestagswahlkampf als tragende Säule mitgemacht, dort Wahlkampfevents moderiert, beim Straßenwahlkampf vorgetanzt, Vortragsreihen organisiert, war daraufhin im Landesvorstand, habe dort die Öffnung Hamburgs versucht voranzutreiben, indem wir z.B. überhaupt wieder bei Bundespressetreffen teilnehmen, ich für Anita immer ansprechbar war, so wie sie für mich auch, ich habe bei allen Touristenwellen zu #hh2112, #30c3, #Gefahrengebiet immer versucht, meine Rolle als Gastgeber zu spielen. Trotzdem kenne ich gefühlt keinen Menschen in dieser Partei und ich behaupte hiermit, dass es umgekehrt von anderer Seite auch nie ein Interesse gab, neue Menschen kennenzulernen. Ich finde dies immer wieder erschreckend.

Ich bin also ein Niemand und war damit auch immer zufrieden, da es nicht um mich ging und ich mich umso freier bewegen konnte. Bei allem anderen, wo es nicht um mich ging, sprich bei allem was ich für die Partei gemacht habe, ist dies nach zwei Jahren extrem problematisch und wohl symptomatisch für die kommunikative Großwetterlage in dieser angeblich basisdemokratischen Partei. Es herrscht wohl der Glaube vor, dass alle Haltungen, Argumente und Erkenntnisse längst in Altpiraten repräsentiert und wiedergespiegelt würden. Auch am Wochenende habe ich eine solche Arroganz der Macht erneut gespürt, persönlich erlebt und ich bin noch nicht mal Basis, sondern war quasi der Vertreter des Hamburger LaVos vor Ort. Eine Kommunikation, die nur auf der machtpolitischen Relevanz oder Prominenz des Gegenübers aufbaut, widert mich an. Natürlich mögen auch hier zeitökonomische Gründe eine Rolle spielen, aber in einer solchen Mitmachpartei werde ich in Zukunft nicht mehr sein. Sie glaubt nicht mal an ihre Grundlage.

Deshalb meine Kehrtwende: Horcht lieber wieder nach unten, baut Menschen auf, dass sie tragen wollen, nicht weil ihr euch einen eigenen Vorteil davon versprecht, oder sie der gleichen Ansicht sind wie ihr, sondern weil sie eigenständig politisch sein wollen in diesem kaputten Land, das wie wir an seinen abgehobenen Eliten sterben wird. Tretet zurück und seid etwas anderes. Wir älteren Piraten haben soziale Infrastruktur zu sein, nicht Entscheider, nicht das letzte Wort in Debatten. Sonst ist das Projekt einer neuartigen Partei tot.

Ich sehe den Fokus des neuen Bundesvorstandes auf ein Mitspracherecht samt ¾-Veto für die Landesverbände in dieser Hinsicht eher kritisch, da die Kommunikation die falsche Richtung geht. Wir sollten nicht nach oben gucken und Ressourcen für dauernde Review-Debatten bei BuVo-Beschlüssen verschwenden. Dies lähmt uns, nimmt uns Planungssicherheit und institutionalisiert ein Misstrauen. Ich will eher umgekehrt Plausibilierung und einen fragenden Stil nach unten. Natürlich muss der BuVo im Tagesgeschäft und in der Pressearbeit handeln können und Entscheidungen fällen: Dafür wurde er gewählt. Hier reicht mir eine Kontinuität mit dem jetzigen Team aus Anita und Vanessa in der Pressearbeit, da sie für die Hamburger Eigenheiten sensibilisiert sind und sie im Zweifel immer bei uns anfragen. Sie werden ihrer Aufgabe als soziale Infrastruktur bereits gerecht. Solch Professionalität sähe ich gerne im Buvo – ohne dass ich das als LaVo per Veto nachträglich kontrollieren soll.

Holt euch Rat bitte vorher, nicht nachher und schafft dadurch ein vertrauensvolles Umfeld, in dem ihr arbeiten könnt. Dass dieser Rat nicht bei Twittergranden, sondern bei gewählten Landesvorständen gesucht wird, dagegen habe ich nichts einzuwenden und dies würde auch eine Verbesserung gegenüber dem letzten Bundesvorstand darstellen.

Es darf bei einem Austausch zwischen Landesvorständen zudem nicht darum gehen, dass sich wichtige Leute treffen, sich wichtig finden und daraus Legitimität ableiten: Es geht darum, dass Dinge getan werden, weil das Handeln nicht nur wenigen Personen plausibel ist. Die eigene Peergroup scheidet hier als Referenz übrigens aus, genauso die Personen des Orgastreiks, sollten sie für sich erneut mehr Relevanz als ein Basismitglied beanspruchen. Ich vermute, dies wird die größte Herausforderung für die Personen des neuen BuVos. Vertrauen ist kein Switch, den man umlegen kann, sondern es wächst mit Zurückhaltung, noch unvollendeten Tatsachen und Fairness. Ich hoffe, es wird in dieser Hinsicht gut beraten.

Ich meinerseits werde ab nächsten Sonntag kein Teil des Hamburger Landesvorstandes mehr sein. Aber auch mit Amt würde ich mit dieser Mahnung wieder niemanden erreichen. In der Regel dauert es zwei drei Monate, bis ich meine Gedanken in den Beiträgen anderer wiederfinde. ich weiß zumindest: Es liegt an euch. Nix mea culpa.

Tschüss

PS.: Bei der derzeitigen Ämterkumulation im Buvo ist ein Länderveto sowieso eine Farce. ;)

Die Hamburger Zahlen 2014

Erste Nüchternheit setzt ein. Wir haben innerhalb von acht Monaten den zweiten Wahlkampf bestritten und es bleibt die Frage, was geleistet wurde, wie es um die Partei empirisch steht und was man besser machen könnte. Zum letzten Wahlkampf hatte ich ebenfalls eine Analyse verfasst, in diesem Blogpost soll es diesmal hauptsächlich um Zahlen gehen.

Hamburgweit haben wir Piraten ca. 17.142 Menschen von der Wahl unserer Bezirkslisten überzeugt. Dies sind bei einer Wahlbeteiligung von lediglich 39,8% immerhin 3,1% für die Piraten. Leider schwanken unsere lokalen Ergebnisse zwischen 1,9% in Wandsbek und 4,4% in Hamburg-Mitte, so dass nur in die Bezirksversammlung Mitte (Gerhold und Thürnagel) sowie in die Bezirksversammlung Nord (Olszewski und Pöstinger) jeweils zwei Abgeordnete einziehen. Schuld hieran ist die von uns erst weggeklagte 3%-Hürde, die sich SPD, CDU und Grüne daraufhin kurzerhand in die Verfassung geschrieben haben. Wir wären sonst in jedem Bezirk mit Abgeordneten vertreten.

Die wenigen Stimmen, die wir für unsere Wahlkreiskandidaten eingesammelt haben, sind mit 10761 x 5 (1,8%) hamburgweit nicht verwunderlich: Wir konnten nur 20 von 54 Wahlkreisen mit Kandidaten bestücken, da uns vielerorts die kritische Masse von 3 Teilnehmern für die geheime Wahl auf den Aufstellungsversammlungen fehlten.

Die Europawahl war bei uns in Hamburg nicht mit Plakaten präsent, da wir hierzu keine Mittel über hatten. Dies wurde auch früh in Richtung andere Bundesländer und Bund kommuniziert, konnte aber leider nicht kompensiert werden. So beruhte unser Europawahlkampf auf Kaperbriefe flyern, recycleten Bundestagsplakaten, etwas Podien- und Medienarbeit und der Bezirkswahl als Zugpferd. Letztlich konnten wir 12.273 (2,2%) Wähler überzeugen. Auch wenn die Wahlbeteiligung bei der Europawahl (43,4%) im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 (70,3%) geringer ausfiel, ist die Halbierung der Wähler von 24.505 im September 2013 auf besagte 12.273 eine signifikante Abweichung. Im Bezirk Mitte (der nicht ganz deckungsgleich mit dem Wahlkreis zur Bundestagswahl ist) hat in absoluten Zahlen nur weniger als die Hälfte (2.835) der Wähler zur Bundestagswahl (6.442) die Piraten als Partei gewählt. Im Bezirk Nord sind es ein Fünftel weniger, dort konnte aber bei der Bezirkswahl immerhin die gleiche Anzahl Menschen (ca. 3.500) wie zu Bundestagswahl von uns überzeugt werden. Der Einbruch der Wahlbeteiligung in der ehemaligen Hochburg Hamburg-Mitte auf 31,2% (Bezirk) bis 34,6% (Europawahl) ist sehr schmerzhaft.

Der Fokus auf eine der beiden Wahlen war für uns Hamburger Pragmatik, das Zugpferd Bezirkswahl aber personell viel zu schwach in der Mehrzahl der Bezirke, so dass wir Europa nicht wirklich rausreißen konnten. Aufgrund des dezenten Europawahlkampfes in Hamburg kann man bei den 2,2 Prozent / 12.273 Stimmen also von einer Art Stammwählerschaft ausgehen.

Diese wohnt anhand der Europawahl derzeit zu 14% in Altona (1.774 Kreuze), zu 4,7% in Bergedorf (578 Kreuze), zu 16% in Eimsbüttel (1.977 Kreuze), zu 17% in Hamburg-Mitte (2.033 Kreuze), zu 23% in Hamburg-Nord (2.835 Kreuze), zu 7% in Harburg (828 Kreuze) und zu 18% in Wandsbek (2.248 Kreuze).

Diese Zahlen sind derzeit die untere Grenze. Die Bezirksergebnisse liegen im Schnitt darüber, besonders in Stadtteilen, in denen aktiv gearbeitet wurde. Zur nächsten Bürgerschaftswahl sollten diese Realitäten jedoch nüchtern berücksichtigt werden. Wandsbek bleibt weiterhin völlig unterschätzt, was uns zum Teil durch Hilferufe und Bedauern, dass wir dort vielerorts keine Plakate oder sonstige Aktivität vorweisen konnten, immer wieder schmerzhaft bewusst wurde. Mitte wird nicht mehr unser Stimmenlieferant sein, liegt auf einem Niveau mit Altona und Eimsbüttel und hat nur durch die miserable Wahlbeteiligung im Bezirk ein prozentual passables Ergebnis erreicht.

Bei der Bundestagswahl und der dort üblichen Wahlbeteiligung hätten wir über 40.000 Stimmen für die 5% in Hamburg benötigt. Bei der jetzigen Bezirkswahl mit sehr geringer Wahlbeteiligung knapp 30.000 Wähler, die uns 5 Stimmen hätten geben müssen, um 5% zu erreichen. Zur Bürgerschaftswahl wird die Wahrheit wohl in der Mitte liegen. Unsere derzeit 17142 Wähler, die uns lokal in den Hamburger Versammlungen haben wollten, müssen wir bis 2015 verdoppeln. Hierfür brauchen wir meiner Meinung nach neue Persönlichkeiten, die im medialen und politischen Leben dieser Stadt eine Berechtigung haben. Diese müssten wir entgegen dem Pfründedenken und gegen alte Widerstände bereits jetzt unegoistisch und selbstlos schonend bis Frühjahr 2015 aufbauen.

Bisher wurden die Versuche, in Hamburg echte Politik zu machen, von alten Kadern leider immer wieder weggebissen. Dies stimmt mich für die Zukunft nicht unbedingt optimistisch. Eine erfolgreiche Gefahrengebietsvolksinitiative kurz vor der Bezirkswahl wäre ein echter Hammer – auch medial – gewesen, wurde aber in diesem Landesverband gnadenlos auf allen Ebenen in Grund und Boden gefickt, bis von der Motivation aller ein Häufchen Elend blieb. Dies alles hauptsächlich deshalb, da neue Gesichter aktiv wurden und die alten Nasen nicht mehr um Erlaubnis fragten oder ihnen nicht wie üblich als Lakaien eine Bühne boten. Das war purer Neid und Missgunst, bei einigen sogar der Vorsatz, dass unter dem gewechselten Vorstand kein Erfolg mehr möglich sein dürfe. Eine Person wurde in dieser Auseinandersetzung regelrecht vernichtet. Eine weitere Hoffnung auf wachsende Persönlichkeiten, die geopfert, ein weiteres Talent, das vertrieben wurde.

Ich hoffe, unsere vier neuen Abgeordneten können durch ihre Arbeit noch ein zwei Akzente setzen oder zumindest unsere Stammwähler als exemplarische Abgeordnete für 2015 überzeugen. Ich hoffe, dass sie in ihrem Umfeld interessierte Bürger und Fachleute einbinden und ein zwei Juwelen für uns Piraten als Bürgerschaftskandidaten schleifen. Wir haben nun ähnlich lange Zeit bis zur nächsten Wahl am 15. Februar 2015 wie zuvor. Wir haben wieder einen Winterwahlkampf, wie bei dem Referendum gegen die 3%-Hürde und das Loch zwischen Weihnachten und Sylvester wird es medial unpräsenten Parteien sehr schwer machen, in die Bürgerschaft einzuziehen. Bis dahin brauchen wir neue Gesichter, neue Themenvertreter, die wir aufbauen und doppelt soviel Reichweite/Stimmen wie bei der jetzigen Wahl, zudem überhaupt die Motivation, unsere Kandidaten und unser Programm als Basis zu unterstützen – was dieses Jahr aus Gründen nur vereinzelt der Fall war. Es wird bei uns erneut Menschen geben, die dieses lieber verhindern, als sich dem gemeinsamen Erfolg der Piraten unterzuordnen. Die alten Schatten legen sich schon längst wieder über den Landesverband und wollen nur sich selbst. Wir werden sehen.

Durch die zwei parallelen Wahlen mit insgesamt 3 Stimmzetteln gibt es noch ein weiteres interessantes empirisches Detail: 37.184 Stimmzettel und damit potenziell 185920 Stimmen waren bei der Bezirkswahl ungültig. Bei den Bezirkslisten-Wahlzetteln waren es 3,1% der Zettel, die wegfielen, bei den Wahlkreislisten-Wahlzetteln sogar 3,5%. Wer meint, dies seien Nichtwähler oder Protestentwertungen des Wahlzettels, der sieht bei der Europawahl (ein Zettel, eine Stimme) nur ein Grundrauschen von 1% ungültigen. Das komplizierte Wahlsystem mit Personenstimmen hat also den Ausfall von Stimmen ungefähr verdreifacht. Neben der niedrigen Wahlbeteiligung ein weiterer unschöner Aspekt dieser Wahl und für eine Partei, die auf jede Stimme angewiesen ist, in dieser Höhe durchaus bedrohlich.

Für die Bürgerschaft gilt das gleiche Wahlsystem. Vielleicht war diese Wahl eine gute erste Übung. Unseren neuen 20.000 Wählern bis 2015 müssen wir das Wählen in Hamburg aber noch beibringen – ob als Wechsel- oder Erstwähler.

Soweit.

P

Freiheit statt Angst in Hamburg

Die Piratenpartei Hamburg ruft zur Demonstration gegen Überwachung auf. Mit unseren Mitstreitern im ‚Hamburger Bündnis gegen Überwachung‘ treffen wir uns zur ‚Freiheit statt Angst‘ am 17. Mai um 14 Uhr auf dem Rathausmarkt, um unsere Kritik an einer Kultur der Angst in diesem Land aufrecht zu erhalten. Während Merkel zu gleichen Zeit am Hamburger Fischmarkt wortreich über ihre Versäumnisse gegenüber den Geheimdiensten schweigt und den faktischen Überwachungsstaat als Land der Freiheit lobt, werden wir durch die Stadt ziehen und für eine Kultur ohne massenhafte, unbegründete und dauerhafte Verdächtigung eintreten.

Dieses Land wird nicht zur Normalität zurückkehren, wenn wir Menschen weiter wie potenzielle Straftäter behandeln. Hamburg hat den Zustand der anlasslosen Überwachung am eigenen Leibe erlebt: Mit Racial Profiling in der Innenstadt, mit willkürlichen Gefahrengebieten und Polizeikesseln an jeder Straßenecke, mit der Befürchtung, wegen einer harmlosen Klobürste kontrolliert und aktenkundig zu werden. Doch wir lassen uns nicht einschüchtern und treten an diesem Samstag nicht nur anonym, sondern weil es sein muss auch stolz und offen für unsere Rechte ein. Wir wissen um die staatstragende Gleichgültigkeit von CDU und SPD gegenüber den Menschen in diesem Land und auch außerhalb Europas Grenzen: Sie haben die Freiheit des Menschen längst als Opfer der Staatsraison über Bord geworfen.

Und deshalb danke ich dem AK Vorrat Hamburg für seine Initiative, dem Chaos Computer Club mit seinem Vorsitzenden für sein treibendes Engagement und den anderen Bündnispartnern für ihre Treue in der Sache. Ich hoffe, ich sehe euch alle am kommenden Samstag zahlreich auf der Straße. Auch die Volksinitiative gegen Gefahrengebiete wird dort Unterschriften sammeln, um die Hamburger Bürgerschaft endlich zu einem Umdenken zu zwingen.

Überwachung stoppen!

Gefahrengebiete abschaffen!

Kommt zahlreich und bringt eure Freunde mit!

 

Unsere Bündnispartner:

  • Chaos Computer Club, Hamburg
  • Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, Hamburg
  • Anonymous, Hamburg
  • Digitale Gesellschaft e.V.
  • Digitalcourage e.V.
  • Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF e.V.) Hamburg
  • Fachschaftsrat Informatik, Uni Hamburg
  • Mehr Demokratie e.V. LV Hamburg
  • Deutsche Journalisten Union, Hamburg
  • Aktionsbündnis Stoppt die e-card
  • Initiative Rechtsanwälte gegen Totalüberwachung
  • Humanistische Union – Landesverband Hamburg
  • Die Linke, Hamburg
  • Bündnis 90 / Die Grünen, Hamburg
  • Junge Piraten, Hamburg
  • Grüne Jugend, Hamburg
  • FDP Landesverband Hamburg
  • Junge Liberale Hamburg

 

Demoroute:

Rathausmarkt -> um die Alster -> Mönckebergstraße -> Rathausmarkt

Demoaufruf des Bündnisses.

Pressemitteilung des Bündnisses.

Audioaufrufe zur Demo:

Dodger vom CCC.

Lars Westphal, Vorstand Piratenpartei Hamburg-Mitte.

Andreas Gerhold, Fraktionsvorsitzender Hamburg-Mitte.

Thomas Michel, Orgateam ‚Freiheit statt Angst‘.

Die Idee des Tausches

Der Handel war seit jeher ein Phänomen, das aus Ungleichheit hervorging. Die Dinge – ob nun Luxusgüter oder Sachen mit Nutzwert – wurden getauscht, da man sie selbst nicht herstellte oder nur in ungenügender Menge produzieren konnte. Das Ungleichgewicht der Dinge über die Regionen und Siedlungen hinweg führte hierbei zu Vorteilen auf beiden Seiten, wenn man sich an der Produktion über die Selbstversorgung hinaus beteiligte. Zumindest unsere Archäologen und Geschichtsschreiber erzählen uns gerne von der Blüte der Handelsstätten und dem prosperierenden Austausch von der Steinzeit über die Antike bis zur Neuzeit. Auch die Rohstoffe und Ressourcen werden hierbei eingegliedert in die Erzählung einer weltweiten Arbeitsteilung mit zivilisatorischem Mehrwert durch wachsenden Reichtum, teilweise eurozentrisch in der Theorie eines ‚Weltsystems‘ teilweise mit einer Verschiebung des Zentrums Richtung Asien.

Als einer dieser Vorteile des Austausches wird nur gelegentlich der Unterhalt von Heeren genannt oder der Abhängigkeiten zwischen dem vermeintlichem Zentrum und der Peripherie nachgegangen: In der Moderne und ihren Texten ist die Idee des Fortschritts fest verankert. In seiner schlimmsten Form als imperialistischer Export von angeblich weiter entwickelten Kulturnationen von England, Frankreich, Deutschland, Russland aus; in seiner schönsten Form in einem gleichberechtigten Dialog und dem Austausch von Wissen und Forschungen zu beiderseitigem Vorteil.

Das moderne Ideal einer Verbesserung der Welt für alle Menschen wird derzeit in Europa durch rechte und nationalistische Tendenzen offen angegriffen. Mit den weiter forcierten Freihandelsabkommen – trotz zurecht stockender Doha-Runde der WTO – , mit den unsolidarischen Tendenzen und offenen Rassismen gegenüber Südeuropa und den Ängsten gegenüber Flüchtlingen verdrängen wir weiter die effektiven Mechanismen, die man in der Politikwissenschaft unter dem Label ‚Dependenztheorie‘ bespricht. In der Kulturwissenschaft widmen sich zudem die ‚Post-Colonial Studies‘ der Emanzipation all der Menschen, denen wir in unseren Rückständigkeitstheorien die Schuld für ihre derzeitige Lage aufbürden. Warum trägt die Moderne mit ihrer mächtigen Fortschrittserzählung inzwischen wieder solch nationalistische und rassistische Scheuklappen?

Die Idee des Tausches ist inzwischen kontaminiert und von strategischen Akteuren zu einem Machtinstrument, Marktdurchsetzungsinstrument herabgewürdigt worden. Bis in die 70er Jahre hinein gab es zwar ein letztes Aufbäumen der Avantgarde, die das Konzept der Geschenkökonomie als Faszinosum für sich entdeckte und die Verausgabung indigener Kulturen im Potlatch etwas unkreativ und hilflos zum Hoffnungsschimmer hochlobte, der dem Kapitalismus entgegentreten könne. Doch die eiskalten 80er Jahre mit Thatcherism und Reaganomics töteten die letzte Hoffnung, dass wirtschaftliche Aktivität etwas mit gesamt-gesellschaftlichen Fortschritt zu tun habe. Auch international war es – mit Ausnahme von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion – eine Phase purer Konkurrenz und wachsendem Egoismus. In der zeitgenössischen Wissenschaft sah die Theorie des Neorealismus neben der militärischen Stärke nun zudem die wirtschaftliche Stärke als Machtfaktor und die Großmächte und solche Staaten, die sich dafür hielten, agierten dementsprechend, um international Einfluss zu gewinnen.

Die Entfesselung und Kontrolle des Handels verkam zu einem Instrument der Dependenz und konnte die Idee gegenseitiger Entwicklung nur noch mühsam aufrecht erhalten.

An diesem Punkt wird die vernetzte Wissensgesellschaft sehr gefährlich und ist für uns Piraten deshalb so wichtig und relevant. Denn sie bedeutet die Erosion eines Vorsprungs, einer Exklusivität. Sie befähigt Menschen in fernen Regionen, sich selbst und ihre Gesellschaft zu entwickeln. Sie ist das, was wir Piraten als Perspektive erkannt haben und weiter fördern wollen.

Das Urheberrecht, das Patentrecht und all die rechtlichen Risiken und technischen Hürden, die wir der Verbreitung von Wissen und Informationen in den Weg stellen, sind weiterhin westliche Machtpolitik, die Reproduktion der alten Abhängigkeiten. Sie wollen die Unterschiede, das Gefälle beibehalten, damit der Handel an sich ein wirksames Instrument der internationalen Dependenz zwischen „Zentrum“ und „Peripherie“ bleibt. Doch der Wert des Tausches kann über den einseitigen Profit hinaus gehen, sollte sich an der gemeinsamen Entwicklung und der damit gewonnenen internationalen Sicherheit und Stabilität orientieren. Besonders wir in Europa wollen keine Kriege mehr führen, sondern uns weiter vernetzen und zum gemeinsamen Vorteil austauschen. Ich als Pirat glaube hier weiter an die bedingungslose Verbreitung von Wissen, von Ideen und an gemeinsame, offene Informationen als Basis unseres Handelns und Vertrauens.

Und um mal konkret zu werden: Zur politischen Ursache der heutigen Misere gehört, dass wir den Fortschritt – zumindest in wissenschaftlicher Hinsicht – immer weiter privatisiert haben. Das Wehklagen von Pharma- und Technologiekonzernen, dass sie jahrzehntelang die Forschung und Entwicklung ihrer Produkte finanziert haben und eine freie Kopie ihnen die Planungssicherheit und den Anreiz für weitere Investitionen entzieht, mag durchaus berechtigt sein. Warum sich der Staat jedoch gerade bei der Produktion freien Wissens – besonders in Deutschland und in Amerika sowieso – zurückziehen sollte, weiß wohl nur die Bertelsmannstiftung, die der Privatisierung des Bildungssektors gelinde gesagt „offen“ gegenübersteht. Wir brauchen nun aber – um an die Idee des gemeinsamen Fortschritts auf dieser Welt wieder glauben zu können – eine Renaissance des freien Wissens, der staatlichen FuE über die Vereinbarung von Lissabon hinaus und eine Neuauflage der Entwicklungspolitik, die nicht weiter Dependenzen fördert, sondern Menschen Eigenständigkeit schenkt. Es geht darum, Grenzen zu überwinden und wir in Europa haben die Mittel und die Institutionen dazu, diese Kultur zu leben.

Und deshalb werde ich am 25. Mai 2014 Piraten wählen. Damit Europa zusammenwächst und sich und der Welt wieder eine Vision von gemeinsamen Fortschritt gibt.

Tut es mir nach. Alles andere hatten wir schon.

PS.: …and fight rising racism and nationalism everywhere! Geht wählen!