Ich habe hier schon lange nichts mehr geschrieben. Dies lag nicht in einer inneren Leere begründet, oder in einem Schock, da sich immer mehr Nasen der Nase nach vom lästigen Ballast parteiinterner Demokratie befreit haben. Große Nasen. Schnüffelnde Nasen. Nasen, die sich in das eigene Schnauben, den eigenen Wind hielten. Naseweise in platzenden Bubblegum-Blasen. Ich hatte andere Gründe für meinen Rückzug und nach der Vorstandszeit auch eine Pause geplant. So habe ich auch keine Ahnung, was in der Piratenpartei derzeit so los ist, sehe nur gelegentlich die Plakate meines Landesverbandes auf der Straße. Das ist sehr angenehm.
Aristokratie mit Internetanschluss
Es amüsiert mich jedoch gelegentlich, die ganzen Expiraten zu sehen, wie sie sich nicht verändern, nicht verändern konnten, den Abstand nicht fanden trotz ihrer ruhenden Mitgliedschaft. Wie einst tölpeln sie durch die Timelines und haben als Expiraten den gleichen Effekt auf unsere Partei wie vorher. Sie äußern sich zu allem, machen noch immer Politik auf Kosten und zum Schaden unseres abstrakten Konstrukts ‚Piratenpartei’. Das hat was von Aristokratie mit Internetanschluss. Die konstitutionelle Monarchie wurde ausgerufen und man hadert mit dem Pöbel in den Parlamenten. Und denkt doch heimlich darüber nach, eine monarchistische Partei zu gründen. Es ist schon alles sehr sehr lustig so aus der Ferne, aber natürlich auch sehr anstrengend für die derzeit Verantwortlichen bei den Piraten.
Die lauten Expiraten werden bleiben
Und macht euch keine Hoffnung: Nein, diese Menschen werden wir nicht los. Man könnte sich Internet-Guillotinen basteln und ihre Profilbilder köpfen und doch bliebe alles beim Alten. Lustig wäre dies, da sich ein Großteil dieses aristokratischen ‚Ersten Standes’ vor dem Austritt selbst in der Rolle des Robespierre sah und nur allzu gerne ein paar vermeintlich revolutionäre Säuberungen in der Partei vorgenommen hätte. Aber all dies ist keine Lösung. Wir haben weiter miteinander zu leben und es hat sich leider nichts durch die Austritte geändert. Der öffentliche Stunk ist der Gleiche, die Reichweite der Twittergranden ebenfalls, sie werden sogar weiterhin interviewt, statt unsere Repräsentanten. Die vernichtenden Kommentare und Interventionen gegen die Partei sind in der Öffentlichkeit weiterhin hoch effektiv und sehr folgenreich. Sollte es in dieser Hinsicht vorher noch eine Art Verantwortungsbewusstsein gegeben haben, so wurde dieses mit dem Austritt nun transparent abgelegt. Wenn sich schon nichts anderes verändert hat, kann man ja vielleicht dieser neuen Ehrlichkeit etwas Respekt zollen. Bravo! Brova!
Wir sitzen also weiterhin alle im selben Boot, nur dass sich einige wie eh und je für was Besseres halten und ihren anhaltenden Einfluss mit der Vernunft und Relevanz ihrer Äußerungen und Überlegungen verwechseln. Ich muss hier gestehen, dazu gehöre auch ich gelegentlich; fühle mich zum Glück aber schlecht dabei und finde auch keine gehässige Erfüllung oder gar eine Geisteshaltung, die mir den gemeinsamen politischen Ideen und Kämpfen irgendwie angemessen erscheint. Ich halte mich so gut es geht zurück und war damit zum Glück auch nie allein.
Die Kollateralschäden
Denn auch wenn die aristokratischen Expiraten gut sichtbar rummarodieren, muss man einen anderen Teil der Expiraten davon positiv abgrenzen, die einen anderen Weg gegangen sind. Diese Piraten im Geiste sind still verschwunden ohne sichtbare Revanche- und Kampf-Gelüste. Sie helfen sogar vereinzelt weiterhin bei Aktionen und bei ihren Themen, denen sie von Herz und Vernunft aus gönnen, dass sie in unserer politischen Landschaft eine Rolle spielen. Sie wollten damals neue Aktivisten sein, doch haben sich irgendwann kopfschüttelnd von uns entfernt, ohne dabei dem Projekt an sich schaden zu wollen, an ihm kleingeistig die eigenen Minderwertigkeitskomplexe ausleben zu müssen. Es gab diese Personen immer schon, doch ihr Denken in spontanen Themen-Allianzen und ihre Leistung in selbstloser Crowdtätigkeit war leider selten geeignet, in die erste Reihe dieser Partei vorzustoßen, um den gestörten Egomanen und Vortänzern eine eigene integrierende Persönlichkeit entgegenzusetzen.
Dieser lose aktivistische Zusammenhalt vor Ort und die stete Arbeit der lokalen Verbände an der Befähigung und Förderung neu-politischer Menschen wurde mit jedem neuen Arschlochtweet weiter zerstört.
Die chauvinistische Atmosphäre
(ich meine den Begriff hier ungegendert in seiner ursprünglichen französischen Bedeutung. Die chauvinistische Haltung hatte bei uns leider viele Ausprägungen, z.B. als Hexenjagd und offene Entwürdigung von Menschen; in der Produktion pauschaler Feindbilder und Stereotypen, die für Idioten verbale und körperliche Gewalt zu rechtfertigen schienen; als Filter Bubbles und Echo Chambers, die Auseinandersetzungen und fremde Perspektiven bereits im Vornherein für irrelevant erklärten; durch genetische XX-XY-Endbegründungen; bis hin zu Opferreflexen, in denen man jeden – selbst gemäßigten – Beitrag als Attacke auf das persönliche Seelenheil deutete und die Exkommunikation des Feindes forderte. Es gab regelrechte chauvinistische und moralische Internetmobs, die diese Tätigkeit mit Politik verwechselten und sich immer wieder auf einzelne Menschen einschossen. Es gab Menschen, die für sich fortlaufend Feinde brauchten und fanden, um sich über sie stellen zu können und ein chauvinistisches Hochgefühl zu erleben. Insgesamt ein Umfeld, in dem Dominanz gerne als entscheidender Faktor der Diskussion gelebt wurde, während für die Legitimation dieser unsäglichen Praxis tautologisch die eigene vermeintliche Überlegenheit angeführt wurde. All diese Phänomene wären sicher eine psychologische Doktorarbeit wert, zumindest empfiehlt sich für die Akteure eine nachhaltige therapeutische Reflektion und Ausbetreuung.)
und der offene Hass waren für uns vor Ort regelrechte Basisvernichtungswaffen. Und diese betrafen nicht irgendeine ebenfalls geltungssüchtige, komplexbehaftete Basis, sondern den konstruktiven, selbstlosen Teil der Aktiven, der mit der Vereinsmeierei und den politschen Parteien aus Gründen eher fremdelte, aber zu unserem Glück einer losen Vernetzung, wie man sie aus dem Internet kannte, und gemeinsamen politischen Anstrengungen gegenüber nicht abgeneigt war.
Die buckelige Twitterelite ist also weiterhin sehr präsent und an Bord, all die zarten Pflänzchen vor Ort wurden weggebombt. Ich würde gerade gerne am Denkmal des Unbekannten Bauernopfers dieser selbstgefälligen Aristokratie einen Kranz niederlegen und weinen. Schade, dass niemand der Honks das hier jemals zu lesen bekommt.
Ich bin mir zwar relativ sicher, dass viele der Selbstbezogenen und Altpiraten durch einen zunehmend mangelnden Kontakt zu dieser eher ephemeren und verteilten Basis, es einfach nicht besser wussten, was sie da zerstören. Dass sie das Konzept ‚Basisdemokratie’ zu dem absurden Anspruch umgedeutet haben, dass an ihrer Aristokratenmeinung niemand vorbeikommen darf, mag jedoch seinen Teil dazu beigetragen haben. Der Kollateralschaden all dieser selbstherrlichen und selbstgefälligen Kriege ist unmessbar, außer man kennt sich vor Ort aus und weiß, wie viele fragile, informelle Vernetzungen ausgelöscht wurden und hat dafür ein Gefühl entwickelt.
Auch wenn der alte Spruch ‚Themen statt Köpfe’ inzwischen seine berechtigte Relativierung erfahren hat, so hatten wir immer genügend erkennbare Themen, die neuen Köpfen vor Ort eine politische Heimat geboten haben und hätten. Die Kritik, dass einigen unserer Köpfe die wachsende örtliche Bereitschaft, sich für unsere Themen einzusetzen, völlig egal war, muss ich leider aufrecht erhalten. Das Ego war hier oft wichtiger als die Sache und in dieser Hinsicht werde ich weiterhin das Motto ‚Themen statt Köpfe’ nutzen. Entweder als pädagogische Parole ins Gesicht der Protagonisten oder als Entschuldigung für all die alten Zöpfe, die mir persönlich auch nicht lieb sind, die jedoch nichts an den gemeinsamen Zielen ändern.
Dass ich an dieser Stelle für die Fahrlässigen und Stolpernden Entschuldigungen und auch mögliche Persönlichkeitsstörungen anführe, soll eine Brücke bauen. Denn nicht jeder Mensch, der so in die Politik unter den neuen medialen Bedingungen geworfen wurde, kann jederzeit die Folgen seines Handelns überblicken und jeden seiner Affekte zurückhalten. Die Partei der Laien braucht hier gelegentlich Vergebung, um einer Selbstreflektion nicht im Wege zu stehen.
Womit müssen wir nun rechnen?
Das Eingeständnis, selber etwas falsch gemacht zu haben, gehört zu einer erfolgreichen Besserung leider dazu. Bei den Expiraten wird dies ein sehr sehr langer Prozess, auf den wir uns da einstellen müssen. Ich frage mich manchmal, mit wem diese Aristokraten noch reden, ob sie sie sich noch mit Mitgliedern auseinandersetzen, in welchen Kreisen überhaupt noch Austausch stattfindet. Denn ich vermute leider, dass sie das Abziehbild einer homogenen, irgendwie bösen Partei weiterhin für sich benötigen und nichts mehr diesen Eindruck stört. Für sie sind wir etwas sehr falsches, von dem sie sich distanzieren und schließlich dann emanzipieren müssen.
Dieses sehr selbstbezogene und dabei in der Natur der Sache auch sehr rücksichtslose Vorgehen kann meiner Meinung nach nur möglich sein, da der Kontakt zu den einfachen Aktiven und zart neu politischen Menschen, die mit uns um Themen herum arbeiten wollten, eben irgendwann fehlte. Menschen, die man als gesichtslosen Kollateralschaden bisher in Kauf nehmen konnte. Auch deshalb wünsche ich all den Expiraten schnell neue, positive, konstruktive Tätigkeiten an anderer Stelle und einigen auch eine professionelle Begleitung, die ihnen auf dem Weg der Loslösung hilft und beisteht. Nichts wäre doch schlimmer, als ein Kopf ganz ohne Thema außer der alten Partei: Eine solche Armseligkeit wünsche ich niemandem.
Und auch wir als Piraten müssen den ehemaligen Scharfmachern und notorischen Prollposaunen gelegentlich zugestehen, dass sie da einen schwierigen Prozess durchmachen und weiterhin Menschen sind, die in dieser Identitätskrise unser Verständnis und Mitgefühl brauchen, auch wenn sie uns dabei beschimpfen. Denn wer wie sie Jahre seines Leben dieser Partei gewidmet hat, der braucht nach dem Bruch nun mal seine Zeit, um sich von ihr tatsächlich zu lösen. Das ist völlig normal, zwar schmerzhaft für beide Seiten, aber normal.
Ich wünsche euch alles Gute, auch wenn das umgekehrt nicht der Fall ist. Ihr habt es nicht leicht, Expiraten.
Lebt wohl.