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Germanwings-Absturz: Journalisten als Sündenböcke, Gegenöffentlichkeit als Gärtner

tl;dr: Für Medienkritik braucht es Beobachter außerhalb der jeweils kritisierten Systeme. Der Germanwings-Absturz hat eine Gegenöffentlichkeit mobilisiert, die wir auch in Zukunft benötigen.

Der Medienhype um den Germanwings-Absturz war eine Ausnahme, er wurde selbst eine Art Ereignis. Im Netz bildete sich mit vielen Beiträgen eine Gegenöffentlichkeit, die gemeinsam Stilkritik an der skrupellosen Berichterstattung und dem hilflosen Vorgehen großer journalistischer Institutionen und ihrer Mitarbeiter übte. Ich persönlich wundere mich über diese plötzliche Aufregung, deren Fokus auf „die Medien“ wohl nur mit dem vorangegangenen Agenda Setting des Begriffs „Lügenpresse“ durch die Mischpoke der Friedenswintler, der Flüchtlings- und Islam-Iritierten, der Verschwörungstheoretiker, Ukraine-Versteher und national-souveränen Strömungen zu verstehen ist. Um das Narrativ der „bösen Medien“ nach diesem komischen Sturm wieder etwas zu erden, empfehle ich diesen Text von Georg Seeßlen, der die Hilflosigkeit des Journalismus nüchtern und systematisch aufarbeitet.

Mich persönlich wundert die Aufregung über die Berichterstattung auch deshalb, da die üblichen Mechanismen und medialen Routinen bei Katastrophenereignissen längst bekannt und ausreichend erforscht sind. Für mich ist die Aufregung ein trauriger Hinweis darauf, wie selten akademisches Wissen in außer-universitäre Kontexte diffundiert. Müssen wir jede Erkenntnis immer wieder als neu und skandalös erleben? Sollten wir solchen Eruptionen vielleicht sogar dankbar sein, da sie Spezialdiskurse endlich in das Allgemeinwissen, den Interdiskurs überführen?

Von Seiten der Medienkritiker hätte man zudem erwarten können, dass sie die Bedürfnisse des Publikums nach Einordnung, Verarbeitung, Trauerarbeit und Seelsorge in ihren Analysen mitdenken. Diesen Publikumsauftrag haben Journalisten trotz einer sehr dünnen Informationslage übernommen, diese Nachfrage wurde von ihnen bedient, dieser Erwartung sind sie gerecht geworden. Und in den meisten Fällen sind dies auch jene Bedürfnisse, die dann bei den Kommentatoren zu solch harscher Medienkritik führten: Die Blogger und Aufgeregten in den sozialen Netzwerken mussten ihrerseits Hilflosigkeit kanalisieren und bekamen in ihrer Fernsicht nur noch Journalisten zu greifen, die nichts oder eben ethisch fraglich berichteten. Auch dieses Verhalten ist irgendwie armselig reflexhaft und unreflektiert – auch wenn die Kritik im Einzelnen berechtigt sein mag. Die Sündenböcke waren diesmal die Medien.

Und ich befürchte, dieser Reflex gegen „die Medien“ ist nun ein Evergreen in Deutschland. Die Überforderten in diesem Land arbeiten wieder an pauschalen, unwiderlegbaren Feindbildern und ich habe dabei weiterhin ein sehr ungutes Gefühl. Umso wichtiger ist es, dass wir die Medien- und Meta-Kritik in diesem Land wieder ernster nehmen und aktiv praktizieren. Und dies ist eine Übung, die „die Medien“ und „der Journalismus“ selbst per Definition nicht leisten können und wofür es tatsächlich eine gesellschaftliche Gegenöffentlichkeit außerhalb dieser Systeme braucht.

Denn was passieren kann, wenn sich Medien selbst beobachten, konnte man bei dem Germanwings-Absturz wunderbar verfolgen. Hierzu erneut der Hinweis auf den verlinkten Text von Georg Seeßlen, der diese Selbstreferentialität ebenfalls thematisiert.

Fazit: Auch wenn Journalisten gelegentlich selbst Opfer sehr dynamischer Ereignisse werden, müssen sie in unserer Zeit immer mitdenken, dass auch sie in ihrem Handeln ständig kritisch beobachtet werden. Das ist meiner Meinung nach eine positive Entwicklung. Selbstverständlich werden „die Medien“ für manche weiterhin an allem schuld sein; aber Unverbesserliche und Zyniker sind wohl ebenfalls eine Art Evergreen…

Dinosaurier einer alten, hasserfüllten Art des Netzdiskurses

tl;dr: Unser Denken kann von Milieus geprägt sein. Dies gilt auch für Michael Seemann.

Unsere Urteile entstammen einer Perspektive. Zum Beispiel können die tägliche Arbeit und auch ein möglicherweise absolviertes Studium beeinflussen, wie wir die Welt analysieren und Ereignisse einordnen. Für mich liegt die Betonung hier auf ‚können‘. Denn es ist für mich eine der zentralen humanistischen und emanzipatorischen philosophischen Grundsätze, nicht von äußeren Merkmalen auf Menschen zu schließen und anhand dieser zu urteilen. Der Mensch darf selbst bestimmt sein und man muss ihm zu jedem Zeitpunkt eine Entwicklung zugestehen und deterministische Urteile vermeiden.

Herrn Seemann gelingt das nur bedingt. Er scheint mit sogenannten „Nerds“ gewisse Erfahrungen gemacht zu haben, die ihn nun das technische Spielkind mit dem Bade ausschütten lassen. In seinem Text zu dem Verschwörungsblogger Fefe schließt er von diesem auf dessen Publikum, überhöht einen Idealtyp zur Diagnose. Der Autor ist ihm offensichtlich unsympathisch, doch ihm geht es am Ende um den Nerd an sich, den er in seiner Philippika an den Pranger stellen will. Das Wort „Arschloch“ fällt, reaktionär sei jeder Computertechnikinteressierte, nahe am Gottkomplex, disqualifiziere sich deshalb für das Politische.

Da muss man erst mal schlucken. Zunächst überrascht die absurde Hybris Seemanns, die Vehemenz gegenüber einer Berufsgruppenschablone, der er daraufhin schablonenhaftes Denken vorwirft. Das tut beim Lesen richtig weh, wenn man auch nur etwas intellektuelle Distanz bewahrt hat. Dass seine konkreten Beispiele für den Stil des Bloggers Fefe dann ausgerechnet Emanzipation und die öffentliche Verurteilung eines Entwicklers behandeln, lässt mich ernsthaft am logischen und rhetorischen Verstand von Herrn Seemann zweifeln. Neben dieser Selbstüberschätzung als besserer Mensch und neben dem Hass auf eine Berufsgruppe ist es zudem das Bildungsniveau von Seemann, das mich eher irritiert. Hier legt jemand tatsächlich nahe, dass der Konsum eines Mediums einem Reiz-Reaktions-Schema folgt, dass der Rezipient Meinungen und Haltungen 1 zu 1 übernimmt und ignoriert die komplette universitäre Forschung und Theoriebildung im Bereich der Cultural Studies zu diesem Thema, die sich mit seinem geborgten Begriff „Diskurs“ und der Medienwirkung als Aneignung bereits seit den 80ern auseinandersetzen. Seine Referenz zu diesem Aspekt ist irgendwer, der vor Ironie warnt. Das ist uninformiert und sehr recherchefaul für jemanden, der sich für intellektuell hält, aber nicht mal die universitären Diskurse kennt.

Ich muss für Herrn Seemann also wohlwollend vermuten, dass er ebenfalls von einem gewissen Milieu geprägt ist und dadurch an Urteilskraft und besonders an Selbstreflektion einbüßt. Aber nicht nur der Inhalt, ebenfalls der rhetorische Stil seines Textes lässt ein gewisses Ursprungsmilieu vermuten. All dieser Hass in seinen Worten, die Produktion eines pauschalen Feindbildes, der Wunsch nach öffentlicher Vernichtung von Diskursteilnehmern, diese Selbstermächtigung, eine ganze Menschengruppe grob und pauschal zu verurteilen und deterministisch herabzuwürdigen, zu verdinglichen: All dies erinnert an die schlimmsten Zeiten bei den Piraten, als der selbstgerechte Hass und die Hexenjagden innerhalb und außerhalb die Partei zerlegten. Dass Seemann hier nun eine Generalabrechnung mit irgendwie politisch interessierten Technikbegeisterten betreibt, ist kein Zufall und lässt erahnen, wie tief er in die damaligen Auseinandersetzungen verstrickt war und wie viel Trauma und Frust er nun in seinem Text verarbeiten muss. Auch wenn er andere gerne – dies in manchen Fällen völlig zu recht – „reaktionär“ nennt: Er selbst ist ein Dinosaurier dieser alten, hasserfüllten Art des Netzdiskurses, dieses vernichtenden Stils.

Wäre da nicht seine Hybris und der ekelig undifferenzierte Applaus von anderen Vernichtungsbegeisterten, so könnte man dies wohlwollend als erste Therapiesitzung eines augenscheinlich Traumatisierten abtun. Doch Herr Seemann beansprucht Diskursmacht auf Kosten vieler, auch sehr guter Menschen, will sie ganz pauschal in eine Ecke drängen. Das ist unverantwortlich.

Bitte denk über die Genese Deiner Vorurteile nach, Seemann, über den urzeitlichen Hassstil Deines Milieus und bleib einfach bei den konkreten, durchaus reaktionären Beispielen von Fefe. Und such Dir bitte eine bessere Philosophie, eine die den Hass gegen ganze Gruppen nicht mehr braucht.

PS.: Ich bemerke inzwischen Tweets, die sich nur noch vordergründig auf Fefe und eher allgemein auf „männlich-weiße Netzaktivisten“ beziehen. Dies hat Seemann – ähnlich der zynischen Brandstiftung von Fefe – in Kauf genommen. Man sollte trotzdem nicht von dem Dinosaurier auf andere progressiv denkende Menschen oder Feministen an sich schließen. Hierzu gerne noch mal den ersten Absatz lesen.

Olympia in Hamburg: Es ist zum Möwenmelken

Pro-Olympia auf der Seite Eins des Hamburger Abendblattes

Pro-Olympia auf der Seite Eins.

Haben die Hamburger endlich eine Wahl bei einem Großprojekt? Steht die Frage, ob sich das Land Hamburg auf die Austragung Olympischer Spiele bewirbt oder nicht, tatsächlich zur Debatte? Laut regierender SPD soll es Ende des Jahres dazu einen Volksentscheid geben, doch die Kampagne ‚Pro Olympia’ läuft bereits auf Hochtouren. Und dies auf Kosten der Steuerzahler und durch städtische Unternehmen. Weiterlesen

Über unseren Umgang mit „Frieden, Wahrheit, Lügenpresse“

Es ist Donnerstagabend und ich sitze mit einem alten Freund zusammen auf dessen Sofa. Unsere Abende sind meist zweigeteilt: Zunächst zocken wir etwas, tauschen uns aus, was gerade so ansteht im Leben und dann kommt es immer wieder zu einem Gespräch über Verschwörungstheorien, Montagsdemos und die Politik großer deutscher Medienhäuser.  Ich mache dann keinen Hehl daraus, dass es mich etwas nervt und ich als kritisch geschulter Mensch durchaus gefestigt bin in meiner eigenen Wahrnehmung (nicht in deren Ergebnis), die solche wirren Winde als Narrativ für das Denken nicht braucht. Es fallen dann die klassischen Reizwörter wie „Ken Jebsen“, „Xavier Naidoo“, er äußert Zweifel an der Souveränität Deutschlands gegenüber den USA und eine tiefsitzende Abneigung gegen alles, was von großen Medienplayern und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt. Die zentralen Begriffe sind hier „die Wahrheit“ und beim Themenkomplex Montagsdemos „Frieden“. Ich bin damit quasi an der Front, habe aber den Vorteil, dass ich diesen herzensguten Menschen dort vor mir länger kenne und ich mit ihm nicht einer Meinung sein muss. Zudem höre ich zu und bin auch nicht auf den Mund gefallen, wenn es darum geht, Aspekten zu widersprechen, den Äußerungen mehr Präzision abzuverlangen, auf einer weitsichtigeren Ebene gewisse Diskurse oder Detailwut als Fallen zu erkennen, die eigentliche Kritik von den verbrannten Schlagwörtern zu trennen und aus meinem eigenen Hochschulbildungsschatz neue Perspektiven und Formulierungen für die Themenkomplexe herbeizuzitieren. Am Ende des Abends muss ich mir regelmäßig eingestehen, dass wir tatsächlich ein produktives Gespräch geführt haben. Überraschend. Weiterlesen